Zeitungsstapel

Stadtnachricht

Neue Erkenntnisse zur Baugeschichte der Beutelsbacher Stiftskirche


500 Jahre Stiftskirche – dieses Jubiläum will die Evangelische Kirchengemeinde Beutelsbach im kommenden Jahr, also 2022, gebührend feiern. Bei der zeitlichen Orientierung stützt sich die Gemeinde auf eine eingemeißelte Inschrift am Südfenster. Dort steht die Jahreszahl 1522. Doch Holzproben von ausgesuchten Bauhölzern der Kirche – etwa aus dem Dachstuhl – geben neue Hinweise: So kann der Dachstuhl über dem Langhaus auf das Jahr 1475/76 datiert werden, das Dachwerk über dem Chor stammt allerdings von 1555/56. Am Jubiläumsjahr 2022 hält die Evangelische Kirchengemeinde trotzdem aus gutem Grund fest: Denn das Jahr 1522 markiert nach wie vor einen entscheidenden, wenn nicht den entscheidenden Bauabschnitt, nämlich die Vollendung des steinernen Gehäuses der Kirche samt komplettem Langhaus und Turm.

Diese Erkenntnisse zur Baugeschichte dieser landesgeschichtlich hochbedeutenden Kirche hat der Rottenburger Bauforscher Tilmann Marstaller bei seinen bauhistorischen Untersuchungen im Zuge der noch andauernden Sanierung der Stiftskirche zutage gefördert. Der renommierte Experte nahm im Auftrag der Kirchengemeinde sogenannte dendrochronologische Datierungen vor – und das vor allem in den Dachwerken der diversen Bauteile. Konkret bedeutet das: Marstaller nahm mittels Hohlkernbohrer Holzproben von ausgesuchten Bauhölzern der Kirche, deren unverwechselbare Jahrringabfolgen (also ihre Wachstumskurven) wissenschaftlich ausgewertet werden können. So kommen Experten im (recht häufigen) Idealfall auf das Fälljahr des betreffenden Baumes und damit indirekt auf das Baujahr des entsprechenden Gebäudeteils, da die Bauhölzer in aller Regel frisch verbaut wurden. Mit diesem seit den 1980er Jahren verbreiteten Verfahren kann nicht nur so gut wie jedes Fachwerkhaus datiert werden, sondern über Dachwerke, Deckenbalken und andere hölzerne Einbauten eben auch Steinbauten. Gerade bei mangelnden Bauakten – bei historischen Bauten fast die Regel – ist diese Methode für die Bauforschung unverzichtbar.

Im Fall der Stiftskirche ging man bislang auf Grund diverser Bauinschriften davon aus, dass sie um 1500 begonnen und 1522 beendet wurde – deshalb das runde Jubiläum nächstes Jahr. Doch die Ergebnisse Tilmann Marstallers bieten ein deutlich anderes Bild: Der Dachstuhl über dem Langhaus wurde bereits 1475/76 aufgeschlagen – das Langhaus muss also damals fertig gewesen sein. Dagegen stammt das Dachwerk über dem Chor erst von 1555/56 – obwohl am Südfenster doch die Jahreszahl 1522 eingemeißelt ist, die bisher als Beleg für die Fertigstellung des Baus gewertet wurde.  Marstaller datierte bei seinen Untersuchungen das steinerne Gehäuse der Kirche auf 1519-21.  Höchstwahrscheinlich kam damals auch schon ein zumindest provisorischer Dachstuhl auf den Chor – warum der endgültige erst mit gut 30-jähriger Verzögerung aufgeschlagen wurde, ob das etwa mit den unruhigen politischen Zeitläuften zusammenhängt, ist derzeit noch offen. Tilmann Marstaller wird diese und seine anderen baugeschichtlichen Erkenntnisse zur Stiftskirche noch auswerten und in einem eigenen Beitrag in der Festschrift zum 500-jährigen Jubiläum nächstes Jahr der Öffentlichkeit vorstellen.

Festzuhalten bleibt schon jetzt, dass die Stiftskirche deutlich früher als bisher angenommen begonnen wurde – noch unter Graf Ulrich V. – und erheblich später – unter Herzog Christoph – zur endgültigen Fertigstellung kam. Als landesgeschichtlich herausragenden Bau macht sie das noch spannender.